Vorgehensweise
Der AI-Prozess beginnt mit den sogenannten AI-Interviews, in die leicht alle Mitarbeiter eines Unternehmens einbezogen werden können. Darin wird zunächst einmal nach den Momenten der Freude und Exzellenz gefragt.
Zahllose positive Geschichten über außergewöhnliche persönliche Erlebnisse und herausragende Aspekte der Organisation kommen so an die Oberfläche. Es wird hinterfragt, welche Stärken das System bereits hat und wo die Qualitäten liegen. Qualitäten, die immerhin einmal zu einem gewissen Erfolg geführt haben.
Sind diese einmal entdeckt – wobei die Schwächen durchaus nicht ignoriert werden – wird daran gearbeitet, die entdeckten Stärken und Qualitäten zu vergrößern. Gleichsam als Nebenerscheinung werden auf diese Weise ohne große Mühen Fehler und Schwächen behoben und Lücken geschlossen. Ein Bild, das dies sichtbar macht ist der Gärtner, der nicht ständig Unkraut rupft, um den Garten frei von Unkraut zu halten, sondern anstatt dessen mehr Blumen pflanzt. So dass das Unkraut keinen Platz mehr hat.
AI zielt konsequent darauf ab, bewusst zu machen, was vorbildlich und inspirierend ist, und nach diesem Vorbild zu arbeiten.
Appreciative Inquiry wurde in den 80er Jahren von David Cooperrider und Suresh Srivastva entwickelt. Die Zeitschrift OD Journal schreibt in ihrem Editorial, dass es keine andere methodische Innovation in den letzten zehn Jahren die Disziplin der Organisationsentwicklung mehr geprägt hat, als AI. Diese Methode ist ein völlig neuer Ansatz, der die klassische Herangehensweise an Unternehmensentwicklung in Frage stellt, bei der deprimierte Mitarbeiter hinterlassen wurden, die sich aufgrund der entdeckten “Sünden” schuldig fühlten und keine rechte Motivation aufbringen konnten, die Vergangenheit zu bearbeiten um eine “verbesserte” Zukunft zu haben. Zurück blieben aber auch entsetzte Vorgesetzte, die nicht fassen konnten, wie so etwas passieren konnte und sich fragen, wie das alles wieder in Ordnung zu bringen ist.
Von der klassischen Problemlösung zur Appreciative Inquiry
Früher
Früher
- Problemlösung
- Identifizieren des Problems
aus einer “Notwendigkeit” heraus
- Analyse der Gründe
- Analyse der möglichen Lösungen
- Planung der Maßnahmen
aus den Problemanalysen heraus
Zugrunde liegende Annahme:
Unternehmen haben Probleme,
die es zu lösen gilt |
Heute
- Appreciative Inquiry
(Wertschätzende Untersuchung)
- Anerkennen des Besten,
“was schon da ist”
- Visionieren, “was sein könnte”
- Gemeinsames Erarbeiten dessen,
“was sein kann”,
Zusammenstellen dessen,
was gewünscht und möglich ist.
- Innovationen erarbeiten,
“was sein wird”
aus der Vision,
der besten möglichen Zukunft.
Zugrunde liegende Annahme:
Unternehmen haben schon ein
ungeahntes Potenzial,
das sich weiter entfalten kann |
Appreciative Inquiry ist eine Methode, in der Diagnose und Veränderung als ein einheitlicher Vorgang gesehen werden. Grund dafür ist die Tatsache, dass der Einzelne und auch ganze Systeme sich in die Richtung entwickeln, die hinterfragt wird. Es gibt für menschliche Entwicklung wohl nichts Stärkeres als Fragen, die zu neuen Möglichkeiten führen und uns mit unseren Potenzialen in Verbindung bringen. Bereits mit den ersten AI-Interviews beginnt ein System sich zu verändern. AI ist eine Methode, die großflächigen Wandel mit Herz und Verstand behutsam und einfühlsam jedoch schnell und effektiv bewirkt und nachhaltig implementiert.
Vorgehensweise und Ausprägungen
Wie funktioniert Appreciative Inquiry?
AI-Fragen, also solche, die die Stärken einer Organisation deutlich und erkennbar machen, können in den meisten der Großgruppen-Ansätze eingebracht werden. Ob als vorbereitende Maßnahme vor einer Großgruppenintervention oder im Rahmen einer Open Space Konferenz, einer RTSC-Konferenz oder anderen Großgruppenverfahren – in jedem Fall wirken die AI-Interviews sich ermutigend und motivierend auf das gesamte System aus. Erkennen die Beteiligten, welche positiven Ansätze bereits vorhanden sind, wächst ihr Selbstbewusstsein und die Aufgabe des Veränderungsprozesses erscheint nicht unüberwindbar, denn immerhin ist bereits einiges vorhanden, was den Prozess begleiten und fördern kann.
Der AI-Summit – Ein Zukunfts-Gipfel
Bei der Gestaltung von AI-Summits haben David Cooperrider und Diana Whitney von anderen Großgruppen-Methoden, insbesondere von Marvin Weisbords Zukunftskonferenz gelernt. Einige grundlegende Ideen (z. B. das ganze System in einen Raum bringen) und Erfolgsvoraussetzungen (z. B. die Notwendigkeit einer klaren Aufgabe) sind die gleichen. Zahlenmäßig sind AI-Summits nicht beschränkt. Sie können mit 50 oder mit 2.500 Teilnehmern durchgeführt werden. Zeitlich dauern sie mindestens zwei Tage (verteilt auf drei Tage), können aber auch vier Tage erfordern. In der Regel wird während des Summits ein Ergebnis zusammen erarbeitet: Die Vision einer neuen Kultur, strategische Ziele oder etwas anderes. Denkbar ist aber auch, dass ein vom Management vorab erarbeiteter Soll-Zustand gemeinsam überarbeitet wird.
Der Ablauf eines AI-Summits orientiert sich an den vier “D‘s”. Das Design des Gipfels wird immer an die Gegebenheiten der jeweiligen Organisation angepasst.
Phase 1: Discovery (Erkunden, Verstehen)
AI-Summits beginnen (nach der Einführung) mit dem Wertschätzenden Interview. Paare finden sich rasch, und binnen Minuten beobachten wir, wie dutzende oder hunderte von Teilnehmern in intensive Gespräche vertieft sind. Die Energie ist sofort hoch. Alle sind wach und aufmerksam. Ganz offensichtlich macht es den Teilnehmern Spaß, dieses Interview zu führen. Und das sagen sie auch in einem unmittelbar darauffolgenden Blitzlicht.
In den Interviews werden schon spätere Phasen des Summits vorweggenommen. Die Kernthemen , die im weiteren Konferenzverlauf im Mittelpunkt stehen, werden im Interview bereits behandelt. Dann wird in ihnen auch nach Wünschen für die Zukunft und nach ersten Ideen für Maßnahmen gefragt. So kommen auch diejenigen schon am Anfang “zu ihrem Recht”, die am liebsten gleich mit der Maßnahmenplanung begonnen hätten.
Nach den Interviews kommen 8er-Gruppen zusammen, und jeder stellt seinen Interviewpartner anhand seiner besten Geschichten und Zitate vor. Oft werden besonders gute Geschichten im Plenum erzählt. Das kann je nach Veranlagung der Teilnehmerschaft zu einem wahren Feuerwerk der guten Stimmung werden.
In der Folge werden zu den Kernthemen die identifizierten Stärken und Potenziale der Organisation allen bewusst gemacht. Dies geschieht oft auf meterlangen Wänden, die sowohl verbal wie kreativ gestaltet sein können. Schon in dieser Phase der Konferenz sammeln die Teilnehmer konkret umsetzbare Ideen. Die Trends, die für die Zukunft die meisten Chancen bieten, könnten identifiziert und analysiert werden. Und mittels Zeitlinien, kann herausgearbeitet werden, was das Beste an der Vergangenheit dieser Organisation ist, das es wert ist mit in die Zukunft genommen zu werden.
Phase 2: Dream (Visionieren)
Diese Phase ist vergleichbar mit der Phase des Visionierens in der Zukunftskonferenz. Die Teilnehmer kreieren phantasiereich und kreativ die beste aller möglichen, gewünschten Zukünfte für ihre Organisation. Ein kleiner Unterschied besteht darin, dass beim Visionieren die vorab festgelegten Kernthemen besonders berücksichtigt werden. Die Visionen werden durch die Bilder vom Besten was ist (Discovery-Phase) bereichert und bauen auf diesen auf. Das trägt dazu bei, dass sie für alle Beteiligten in den Bereich des Möglichen rücken.
Phase 3: Design (Gestalten)
Auch hier gibt es Parallelen zum Vorgehen der Zukunftskonferenz, denn zunächst werden die Inhalte der kreativen Präsentationen wieder in Worte gefasst (hier nur Stichworte) und gesammelt. Dann wird anders als in der Zukunftskonferenz nicht im Plenum ein Konsens oder Dissens zu jedem Stichwort herausgearbeitet.
Das wäre auch nicht möglich, wenn man mit mehr als 80 Teilnehmern arbeitet. David Cooperrider und Diana Whitney meinen, dass der Konsens am besten sowieso ex post festgestellt werden kann. Das heißt, wenn später tatsächlich umgesetzt wird, ist Konsens da gewesen, sonst nicht. Aus ihrer Sicht braucht es daher keinen common ground (einmütigen Konsens) wie er in der Zukunftskonferenz erarbeitet wird, sondern nur einen higher ground. Im AI-Summit werden daher die sortierten Stichwort-Cluster einfach nur priorisiert. Jeder kann an der Vision mitgestalten, die er unterstützt.
Im Anschluss werden in Gruppen zu den wichtigsten Clustern sogenannte possibility statements (“Zukunftsaussagen”) herausgearbeitet. Für eine Großgruppe wird ungewohnt viel Zeit in die Formulierung ganzer Sätze oder Absätze investiert. Es entstehen dann aber auch wirklich aussagekräftige Formulierungen, die einen hohen Anspruch für die Zukunft der Organisation transportieren.
Phase 4: Destiny (Umsetzen, Erneuern)
In der Destiny-Phase werden Maßnahmen geplant. Aktionsgruppen bilden sich oft im Open Space-Modus. Das ist nichts Neues, wir kennen es von anderen Großgruppen-Designs. Eine Besonderheit von AI in dieser Phase besteht jedoch darin, dass die Summit-Teilnehmer in der Regel auch reflektieren, wie sie den wertschätzenden Ansatz, den sie in den letzten Tagen erlebt haben, in ihren Alltag integrieren können. Sie überlegen in Heimatgruppen, wie sie künftig das Positive stärker als das Negative herausstellen und kommunizieren, wie sie sich gegenseitig wertschätzen und wie sie Beispiele für best practices bekannt machen können. Dies alles vor dem Hintergrund, welche Energien uns denn nähren auf unserem Weg in die Zukunft. So wird ein Stück gefördert, dass die Grundideen von AI in den Alltag der Organisation übergehen und eine Wertschätzende Organisation (siehe unten) entsteht.
Das Besondere an dieser Destiny Phase ist, dass wir es immer wieder erleben, wie hier eine viel Energie für die Verwirklichung der Visionen entsteht. Diese ist oft noch stärker als in der Visionsphase.